Frauenerwerbslosigkeit
Dorothea König
Aus der Seminararbeit "Frauenforschung Applied Gender Issues" im Rahmen des Proseminars
"Anwendungsgebiete der Sozialpsychologie: Selbstkonzept und Selbstwert II" (Dr. H. E. Schachinger) am Institut für Psychologie der
Universität Wien, SS 2001
Inhalt:
1. Einleitung
2. Vergleich von Männern und Frauen in der Marienthal-Studie
3. Die Bedeutung der Erwerbslosigkeit bei Frauen
4. Erwerbslose Industriearbeiterinnen
5. Erwerbslose Akademikerinnen
6. Das Hilfesuchverhalten erwerbsloser Frauen
7. Zusammenfassende persönliche Stellungnahme
8. Literatur
Einleitung
Beim Lesen des Buches "Die Arbeitslosen von Marienthal" (Jahoda, Lazarsfeld & Zeisel, 1933/1975), einer grundlegenden
psychologischen Längsschnittstudie der soziographischen Forschung zur Untersuchung der Stellung zur bzw. der Wirkung der Arbeitslosigkeit, fiel mir
auf, dass sich Frauen in dieser schwierigen Situation anders verhielten als Männer. Es interessierte mich daher, diesem Phänomen im Rahmen
der Arbeit über "Frauenforschung" nachzugehen.
Zunächst möchte ich einige Ergebnisse der Marienthal-Studie aufzeigen, die für "Frauenerwerbslosigkeit" relevant sind. Diese
sind für mich Ausgangspunkt, um schließlich auf den neueren Forschungsstand zu diesem Thema einzugehen.
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Vergleich von Männern und Frauen in der Marienthal-Studie
In Marienthal, einem kleinen Dorf im niederösterreichischen Steinfeld, hatten sich viele Menschen angesiedelt, um in der dortigen
Fabrik zu arbeiten. Nach der Hochblüte in den 1920er Jahren musste diese Fabrik jedoch geschlossen und die gesamte Belegschaft entlassen werden.
So wurden beinahe alle Bewohner von Marienthal arbeitslos.
Für die Untersuchung verwendete die Forschergruppe um Lazarsfeld eine Vielzahl verschiedener Methoden und Materialien. Sehr
aufschlussreich ist der Vergleich der Zeitverwendungsbögen von Männern und Frauen. Im Stundenrhythmus mussten die Befragten ihre
Tätigkeiten eintragen. Der Tag einer Frau war mit Arbeit ausgefüllt: kochen, putzen, nähen, flicken, Kinder versorgen, waschen. Die Frauen
waren meist von 7 bis 23 Uhr beschäftigt. Viele besuchten auch einen Schnittzeichenkurs, der in Marienthal abgehalten wurde. Die Frauen sind also im
strengsten Sinn des Wortes nicht arbeitslos, sondern verdienstlos bzw. wie man heute sagt erwerbslos geworden.
Völlig anders hingegen verhielt es sich bei den Männern. Sie waren im Haushalt kaum tätig und wussten mit ihrer
früher so begehrten Freizeit nichts anzufangen; ihre Hauptbeschäftigung war das "Nichtstun". Nun, da sie genug Zeit zum Lesen
gehabt hätten, ging die Zahl der Entlehnungen in der Marienthaler Arbeiterbibliothek zurück. Der Park verwilderte, da sich keiner der Gartenarbeit
oder Pflege annahm. Die Männer gingen spazieren oder zum Greißler. Sogar das Tempo ihrer Fortbewegung verlangsamte sich, sie blieben immer
wieder stehen und sammelten sich in kleinen Gruppen. "Langsame Gespräche werden geführt, für die man unbegrenzt Zeit hat. Nichts
mehr muß schnell geschehen, die Menschen haben verlernt, sich zu beeilen" (Jahoda, Lazarsfeld & Zeisel, 1933/1975, S. 83). Die Männer
hielten Mittagsschlaf und gingen meist schon um 20 Uhr zu Bett, also wesentlich früher als die Frauen. Auch wenn die Frauen von Marienthal aktiver waren
als die Männer, so gaben doch alle Frauen an, dass ihnen die Arbeit in der Fabrik fehlte und das nicht nur aus finanziellen Gründen. Sie nahmen also
die Mehrfachbelastung einst gern in Kauf, da die Fabrik ihren Lebensraum erweiterte und Möglichkeiten zu sozialen Kontakten bot.
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Die Bedeutung der Erwerbslosigkeit bei Frauen
Innerhalb der psychologischen Arbeitslosenforschung wurde das Problem der Erwerbslosigkeit bei Frauen lange Zeit vernachlässigt. In
Deutschland wurden von Gisela Mohr (1993a) Beiträge zur Psychologie der Frauenerwerbslosigkeit unter dem Titel "Ausgezählt"
publiziert.
Gisela Mohr (1993b) fasst in ihrem Artikel "Frauenerwerbslosigkeit: Spekulationen und Befunde" die Sichtweise der Frauenerwerbslosigkeit
zusammen, wie sie in der Literatur, die sich allgemein mit dem Thema Arbeitslosigkeit befasst, vertreten wird. Dabei stehen die häusliche Arbeit oder die
Mutterrolle als Ersatz für Erwerbstätigkeit im Vordergrund. Untersuchungen aus den 1980er Jahren (Kieselbach, 1988, zitiert nach Mohr, 1993b;
Schultz-Gambard, Balz & Winter, 1987, zitiert nach Mohr, 1993b) ergaben, dass Hausfrauen und Mütter weniger unter der Erwerbslosigkeit leiden.
Alleinstehende, Alleinverdienende bzw. Alleinerzieherinnen hingegen zeigen im Stadium der Erwebslosigkeit ähnliche Reaktions- und
Beeinträchtigungsmuster wie Männer. Sie werden in der Literatur nicht näher berücksichtigt, da man sie in der Untersuchung wegen
ihres demographischen Status (alleinstehend, alleinverdienend, alleinerziehend) als den Männern gleichzusetzend betrachtet, obwohl erwerbslose
Männer nicht überwiegend alleinstehend, alleinverdienend bzw. alleinerziehend sind.
Sieben Erklärungsmuster, warum ein Teil der Frauen offenbar von Erwerbslosigkeit weniger beeinträchtigt wird als Männer,
werden in der Literatur angegeben. Gisela Mohr (1993b) bezeichnet sie als Spekulationen über die Bedeutung der Erwerbslosigkeit von Frauen; sie
zählt sie auf und kommentiert sie wie folgt:
1) Frauen werden entlastet von Mehrfachbelastung
Frauen leisten in der Regel neben der Erwerbsarbeit die Reproduktionsarbeit in Haushalt und Familie. Sie sollten sich also durch den Verlust der Erwerbsarbeit
entlastet fühlen. "Die Befreiung von der Mehrfachbelastung als Erleichterung zu betrachten, impliziert, daß Frauen Familie und Erwerbsarbeit
vorwiegend jeweils als Belastung erleben und daß diese Belastungen sich additiv verhalten" (Mohr, 1993b, S. 37).
Ich meine, auch wenn Frauen die Tätigkeit in der Familie oder die Erwerbsarbeit im einzelnen nicht als Belastung empfinden, so muss man doch
zugestehen, dass Erwerbslosigkeit die Arbeit der Frau reduziert. Körperlich wird dies wohl zunächst als angenehm erlebt. Alle fünf bei Mohr
(1993b) angeführten Längsschnittstudien ergeben als einzigen einheitlichen Befund, dass Erwerbslose im Vergleich zu Erwerbstätigen oder
Wiedereingestellten einen schlechteren psychischen Gesundheitszustand aufweisen; dies gilt sowohl für Männer als auch für Frauen. Die
Erwerbsarbeit ist also ein wichtiger Ausgleich zur Haus- und Familienarbeit, da in ihr Bedürfnisse befriedigt werden, die sonst auf der Strecke blieben.
Im Zusammenhang mit diesem Erklärungsmuster muss man auch darauf hinweisen, dass nach einer Studie über die Verteilung der Hausarbeit
von Metz-Göckel und Müller (1986, zitiert nach Mohr, 1993b) voll-erwerbstätige Frauen mehr Hilfe durch den Partner erhalten als teilzeit oder
gar nicht erwerbstätige.
2) Frauen arbeiten nicht aus ökonomischer Notwendigkeit ("Zusatzverdienerargument")
Hier wird davon ausgegangen, dass Frauen ihr Einkommen nur als Zusatzverdienst betrachten. Aus einer englischen Repräsentativerhebung von
Martin und Roberts (1984, zitiert nach Mohr, 1993b) geht hervor, dass nur 15% der Frauen gleich viel oder mehr verdienen als ihre Partner. Trotzdem hielten
65% der befragten Ehepartner die Erwerbsarbeit der Frau für notwendig. Für die Frau bedeutet das eigene Einkommen mehr Unabhängigkeit,
Entscheidungsbefugnis und eigene Alterssicherung. Zusatzverdiener geraten während ihrer Erwerbslosigkeit nicht in solche ökonomische Not wie
Alleinverdiener, wobei dies natürlich für Männer genauso gilt wie für Frauen.
3) Für Frauen ist Erwerbsarbeit kein zentrales Lebensinteresse (Argument der Familienorientierung)
Dieses Erklärungsmuster beruht auf dem Gedanken, dass Frauen der Familie in ihrer Lebensgestaltung mehr Bedeutung beimessen als der
Erwerbsarbeit. Oft bringen Frauen zum Ausdruck, dass sie lieber nicht erwerbstätig wären, um der Familie mehr Zeit widmen zu können.
Wenn die Kinder klein sind, scheiden die Mütter meist für einige Jahre aus dem Berufsleben aus. Häufig nehmen Frauen Teilzeitarbeit in
Anspruch; sie beteiligen sich weniger an Aufstiegsangeboten und geben oft an, nur aus finanziellen Gründen Interesse an der Arbeit zu haben. Dies alles
wird als familiale Orientierung der Frau interpretiert.
Erwerbstätigkeit ist heute fester Bestandteil in der Lebensbiographie fast aller Frauen. Sie haben nur das Problem, Familie und Erwerbstätigkeit zu
vereinbaren. Ich glaube schon, dass Familienorientierung der Frau die Erwerbslosigkeit erleichtern kann, da zumindest der Konflikt, der sich aus dem Problem
der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit ergibt, wegfällt. In diesem Zusammenhang denke ich an eine Aussage, die eine Frau machte,
als ihre erwachsenen Kinder von zu Hause ausgezogen waren: "Jetzt kann ich endlich ohne schlechtes Gewissen meiner Erwerbstätigkeit
nachgehen."
4) Frauen erleiden keinen Verlust der Tagesstruktur
Die Hausarbeit wird als Mittel zum Erhalt der Tagesstruktur angesehen. Sinnvolle Tätigkeit soll vor Passivität und Depression schützen.
Eine Untersuchung über die psychische Befindlichkeit in Zusammenhang mit Hausarbeit (Shamir, 1986, zitiert nach Mohr, 1993b) ergab, dass nicht
die Quantität der Hausarbeit wichtig ist, sondern die Art der Aufgabenteilung zwischen der erwerbslosen Frau und ihrem Partner, welche für die
Qualität der Beziehung spricht. Das Wohlbefinden der erwerbslosen Frauen war besser, wenn sie stärker egalitäre Verteilung der Hausarbeit
angeben konnten.
5) Die "Alternativrolle" Hausfrau schützt vor Statusverlust
Dieses Erklärungsmuster impliziert, dass der Status "erwerbslos" negativer bewertet wird als "Hausfrau". Da es heute kaum
mehr Hausfrauen gibt, bedarf auch die Rolle der Hausfrau in unserer Gesellschaft einer Erklärung. Sie ist dann akzeptiert, wenn sich die Frau in der
dafür legitimierten Lebensphase befindet, in welcher sie kleine Kinder zu betreuen hat. Es kommt also auf die Qualität der Alternativrolle an; als
Erklärungmuster genügt der alleinige Verweis darauf jedoch nicht.
6) Die "Alternativrolle" Hausfrau schützt vor Diskriminierung
Diese Überlegung geht davon aus, dass Erwerbslose oft als "arbeitsscheu" diskriminiert werden, während der Status
"Hausfrau" die Hausarbeit und Pflichterfüllung in der Familie impliziert. Dies kann jedoch für die arbeitssuchende Hausfrau von Nachteil
sein. Die Wiedervermittlung, die oft durch soziale Stellen erfolgt, wird unter dem Aspekt der bestehenden Hausfrauenrolle weniger vehement betrieben
(Callender, 1987, zitiert nach Mohr, 1993b; Engelbrech, 1987, zitiert nach Mohr, 1993b).
7) Frauen sind keine "echten" Erwerbslosen
Diese Annahme leitet sich von dem Umstand ab, dass Frauen vielfach Teilzeitstellen suchen, für die geringe Vermittlungschancen bestehen. Daraus
wird geschlossen, dass Frauen kein echtes Interesse an Vermittlung haben.
Vielfach sind Frauen mit mehreren kleinen Kindern gezwungen, Teilzeitarbeit anzunehmen (Handl, 1988, zitiert nach Mohr, 1993b). Eine Untersuchung von
Süssmuth aus dem Jahr 1989 (zitiert nach Mohr, 1993b) zeigt, dass in Deutschland nur für 3% aller Kinder unter drei Jahren Plätze in
Tagespflegestellen oder Krippen zur Verfügung standen; nur für 9% der Drei- bis Sechsjährigen gab es Ganztagsbetreuung in öffentlichen
Einrichtungen. Die Frauen sind also gezwungen, Teilzeitbeschäftigung anzustreben; sie deshalb als "unechte" Erwerbslose zu bezeichnen, ist
aus sozialwissenschaftlicher Perspektive nicht angebracht.
Diese sieben Erklärungsmuster beziehen sich auf eine Gruppe von Frauen, nämlich auf solche, die sich in einer aufrechten
Lebensgemeinschaft befinden und möglichst auch noch Mütter sind. Selbst innerhalb dieser Gruppe werden die Frauen den Erwerbsverlust sehr
unterschiedlich empfinden. "Vor allem jene Frauen, deren Erwerbsarbeit durch einen geringen Handlungsspielraum und durch starke Repetitivität
gekennzeichnet ist und die zudem eine große außerbetriebliche Belastung erleben, zeigen ein stärkeres Interesse am Berufsausstieg. Dabei
ist ferstzustellen, daß Frauen nicht die Erwerbstätigkeit insgesamt ablehnen, sondern ihre spezifische Tätigkeit" (Mohr, 1993b, S. 40).
Die geringe arbeitsinhaltliche Orientierung dieser Frauen darf aber nicht von der meist vorhandenen ökonomischen Notwendigkeit der
Erwerbstätigkeit ablenken. Die finanziellen Probleme, welche die Erwerbslosigkeit zur Folge hat, stellen für die Frauen eine große psychische
Belastung dar.
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Erwerbslose Industriearbeiterinnen
Gisela Mohr (1993c) führte eine Längsschnittstudie mit erwerbslosen Industriearbeiterinnen durch. Die Befragungen fanden
1981 und nochmals 1987 statt. Nach sieben Jahren ließen sich folgende Subgruppen bilden:
- Arbeiterinnen, die wieder eine Arbeit gefunden hatten
- Arbeiterinnen, die noch oder wieder erwerbslos waren
- Arbeiterinnen, die Hausfrau, Rentner oder Umschülerinnen waren.
Die Untersuchung ergab, dass erwerbslose Frauen gegenüber den Erwerbstätigen oder Wiedereingestellten eine schlechtere
psychische Befindlichkeit aufwiesen. Beim ersten Untersuchungszeitpunkt unterschieden sich die Depressivitätswerte bei den erwerbslosen Frauen
kaum. Die Depressivitätswerte stiegen im Laufe der sieben Jahre bei den Arbeitssuchenden nicht signifikant, während sich die Werte bei Personen
aus den neuen Statusgruppen (Hausfrauen, Wiederbeschäftigte) signifikant verringerten.
Die Befindensverbesserung bei den Hausfrauen hing aber nicht von der alternativen, den Tag strukturierenden Tätigkeit ab, da der Umfang der Hausarbeit
bei Arbeitssuchenden und Hausfrauen gleich war. Auch die ökonomische Lage der Befragten unterschied sich nicht signifikant. Die Differenzen lagen in
der Gewichtung der finanziellen Gründe für die Erwerbstätigkeit. Sie waren für die arbeitssuchenden Frauen zu beiden
Erhebungszeitpunkten wichtiger als für die Hausfrauen.
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Erwerbslose Akademikerinnen
Bei Frauen, die eine hohe Qualifikation aufweisen, steht sicherlich die arbeitsinhaltliche Orientierung der Erwerbstätigkeit im
Vordergrund. Wenn sich Frauen in hochqualifizierten Positionen aus dem Beruf zurückziehen, weil sie Kinder bekommen, befürchten sie bei zu
langem Pausieren, den Anschluss zu verlieren. Dieser Konflikt zwischen Familie und Beruf kann einerseits dazu führen, dass Frauen trotz hoher
Qualifikation von vornherein keine ehrgeizigen Berufspläne entwickeln oder andererseits auf Kinder verzichten (Strehmel, 1993).
Junge Akademikerinnen, die keine Arbeit finden, jobben oft in ungeschützten Beschäftigungsverhältnissen auf dem "grauen
Arbeitsmarkt". Solche Arbeitsverhältnisse haben die Grenzen zwischen Erwerbslosigkeit und Berufstätigkeit unscharf werden lassen.
Petra Strehmel (1993) beschreibt eine Untersuchung mit Lehrerinnen und Lehrern, die nach ihrer Ausbildung erwerbslos wurden. Die
Studie wurde 1982 begonnen und erstreckte sich über sechs Jahre. Es stellte sich heraus, dass die Lebensbiographie der Frauen wesentlich
ungünstiger verlief als jene der Männer. So fanden die gleichqualifizierten Männer eher eine adäquate Stelle. Den Frauen fiel es
schwerer in neue Berufe einzusteigen. Nur kinderlosen Frauen gelang der Wechsel in andere Berufe. Frauen mit Kindern nahmen kurzfristige, geringfügige
und ungeschützte Jobs an. Wie sehr die Frauen unter ihrer Erwerbslosigkeit litten, macht die Beschreibung ihrer Gefühle deutlich. Sie bezeichneten
sich als "vom Leben abgeschnitten, abhängig oder vergessen". Einzelne trauten sich immer weniger zu und gaben ihre beruflichen
Ansprüche und Interessen schließlich auf. Sie wollten nur noch "irgendetwas" arbeiten. Nach sechsjähriger Erwerbslosigkeit waren
die hochqualifizierten Frauen stark demoralisiert, d.h. verunsichert, hilflos und schließlich entmutigt. Besonders hoch war der Grad der Demoralisierung
dann, wenn noch andere belastende Lebensumstände hinzukamen.
Diese Studie hat gezeigt, dass lange Erwerbslosigkeit und die damit einhergehende ökonomische Abhängigkeit und Perspektivlosigkeit die Frauen
sowohl Mütter als auch kinderlose Frauen in ihrem Selbstwertgefühl beeinträchtigen.
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Das Hilfesuchverhalten erwerbsloser Frauen
Das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit betrifft immer mehr Frauen. Es kann zu starken psychosozialen und gesundheitlichen
Belastungen führen; deshalb kommt den Beratungs- und Hilfsangeboten eine wichtige gesundheitserhaltende Funktion zu.
Frauke Klink (1993) beschäftigt sich in ihrem Artikel "Hilfesuchverhalten erwerbsloser Frauen" mit dieser Problematik. Sie führt eine
Untersuchung zum Hilfesuchen erwerbsloser Frauen an, die in einem Erhebungszeitraum von Jänner 1987 bis Mai 1988 durchgeführt wurde. Es
zeigt sich, dass individualtherapeutisch-korrektive und kurativ-orientierte Maßnahmen erst in Anspruch genommen werden, wenn die Belastungen bereits
zu gravierenden Partnerkonflikten, Suchtproblemen oder Krankheiten geführt haben. Ein gemeindepsychologisch-orientiertes Vorgehen ist daher
notwendig, wobei nicht-professionelle Helfer angemessene soziale Unterstützung bei der Bewältigung der Erwerbslosigkeit leisten sollen.
Besonders zweckmäßig ist es, Erwerbslosen durch nachgehende Beratung die Inanspruchnahme von Hilfsangeboten zu erleichtern. Die
nachgehende Beratungsform, bei der professionelle Helfer zum Klienten kommen, ist vor allem bei sogenannten "weggetauchten", unfreiwillig in
die Hausfrauenrolle verschwundenen, meist älteren Frauen von Bedeutung.
Für die Erwerbslosen ist es aber nicht nur die räumliche Distanz, die sie vielleicht abhält, eine Beratungsstelle aufzusuchen; es sind vor allem
die Schwellenangst und die Angst vor der Selbsteröffnung. Trotz des Wissens um mögliche Unterstützungsressourcen wird die Hilfesuche oft
hinausgezögert und erst auf dem Höhepunkt der Krise in Anspruch genommen. Es werden wohl mit Hilfesuche nicht nur positive Aspekte assoziiert,
sondern auch negative Gefühle, wie Angst, dankbar sein zu müssen, andere mit Problemen zu belästigen etc. verbunden. Diese negativen
Emotionen werden unter dem Begriff "psychische Kosten" zusammengefasst.
Es kommt auch vor, dass auf Hilfesuchen verzichtet wird und internale Bewältigungsstrategien wie Problemverdrängung, -verleugnung oder
-akzeptanz bevorzugt werden.
Gourash (1978, zitiert nach Klink, 1993) definiert Hilfesuchverhalten als "... jede Form von Kommunikation mit Freunden, Verwandten oder auch
professionellen Helfern, die darauf abzielt, Unterstützung, Ratschläge oder Beistand in Streßsituationen zu mobilisieren." Nach dieser
Definition sind Hilfesuchende aktiv handelnde Subjekte und nicht nur Objekte von Hilfeleistung; Helfen ist daher als interaktiver Prozess zwischen Helfer und
Hilfeempfänger anzusehen.
Voraussetzung für hilfesuchendes Verhalten ist die subjektive Problemwahrnehmung. Diese ist das Resultat zweier
Einschätzungsprozesse:
- Die Situation wird als störend, kritisch oder bedrohlich bewertet.
- Die personalen Ressourcen (Problemlösungskompetenz, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten) und die sozialen Ressourcen
(unterstützende Netzwerkbeziehungen, die neben materiellen und praktischen Hilfeleistungen vor allem auch Gefühle von Geborgenheit und sozialer
Einbettung vermitteln) werden beurteilt. Wenn die Betroffenen über ausreichende Ressourcen verfügen, werden die Probleme, die sich aus dem
Arbeitsverlust ergeben, als weniger bedrohlich erlebt.
Die Entscheidung, Hilfe zu suchen, setzt aber nicht nur die subjektive Problemwahrnehmung voraus, es muss auch die Bereitschaft zur
Selbsteröffnung vorhanden sein. "Jourard (1971) versteht darunter eine interpersonelle Kommunikation, bei der anderen Personen durch die
Problembeschreibung Einblicke in die Privatsphäre ermöglicht werden" (Klink, 1993, S. 225). Es fällt den Erwerbslosen leichter,
über ihre Probleme zu sprechen, wenn die Arbeitslosigkeit nicht "selbstverschuldet" (interne Attribution), sondern Folge einer
Betriebsschließung ist (externe Attribution).
Die oben erwähnte Untersuchung zum Hilfesuchen erwerbsloser Frauen hat gezeigt, dass die Probandinnen bemüht waren, die
psychischen Kosten möglichst gering zu halten. Sie wählten daher als Helfer oft eng vertraute, langjährige Bezugspersonen, Personen mit
ähnlichen Problemen oder aber professionelle Helfer. Wenn sich die psychosozialen Belastungen in psychosomatischen Beschwerden niederschlugen,
wandten sich die Hilfesuchenden an Ärzte.
Bei der Hilfesuche werden verschiedene Vorgangsweisen angewandt. Man kann zwischen offenen, verdeckten oder anonymen
Hilfesuchstrategien unterscheiden:
Unter offener Hilfesuche versteht man die direkte Bitte um Unterstützung und Besprechung des Problems. Sie setzt ein hohes Maß an
Selbsteröffnung voraus. Es gibt hier zwei Möglichkeiten der Hilfesuche: Beim verhandelnden Hilfesuchstil will der Betroffene die Entscheidung
über mögliche Lösungsschritte selbst treffen; beim didaktischen Hilfesuchstil erwartet der Hilfesuchende klare Anweisungen zur
Problemlösung (Asser, 1978, zitiert nach Klink, 1993).
Das verdeckte Hilfesuchen setzt keine Selbsteröffnung voraus. Man gibt zum Beispiel seine eigenen Probleme als die seines Freundes aus.
Diese Strategie wird angewandt, um Kontakt zu neuen sozialen Bezugsgruppen oder bislang unbekannten Helfern aufzunehmen. Bei der Kontaktaufnahme zu
neuen Bezugsgruppen sind erhebliche Schwellenängste zu überwinden.
Ein anonymes Hilfesuchverhalten, wie zum Beispiel Anrufe bei der Telefonseelsorge, gibt dem Hilfesuchenden die Möglichkeit, seine Probleme
darzustellen, ohne seine Identität preiszugeben.
Negative Erfahrungen bei der Hilfesuche führen oft zu Resignation. Vor allem ältere Frauen erleiden Misserfolge bei der
Arbeitssuche. Ihre meist erfolglose Hilfesuche beim Arbeitsamt ruft erhebliche Verunsicherungen im Selbstwertgefühl hervor.
Es ist sicher notwendig, bei Helfern im Bereich der Arbeits- und Sozialverwaltung oder anderen potentiellen Helfern das Wissen über psychische
Belastungen und differentielle Bewältigungsstrategien erwerbsloser Frauen zu verbessern.
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Zusammenfassende persönliche Stellungnahme
In der Lebensplanung der Frau spielt der Beruf eine zentrale Rolle. Schon im Kindesalter wird mit den ersten Überlegungen zu einer
späteren Berufswahl begonnen, indem ein bestimmter Bildungsweg eingeschlagen wird. Frauen sind genauso wie Männer bestrebt, sich in ihrem
Beruf selbstzuverwirklichen und Posten zu besetzen, die ihren Interessen und ihrer Ausbildung entsprechen. Die Arbeit soll nicht nur Freude machen, sondern
auch das Ansehen der Frau in der Gesellschaft heben. Wenn sie erfolgreich ist, erfährt sie Anerkennung, welche ihren Selbstwert stärkt. Durch
Erwerbstätigkeit erwarten sich Frauen Statusgewinn gleichgültig, ob sie Verkäuferin oder Managerin sind. Dies hat auch eine
Befragung von entlassenen Kaufhausangestellten gezeigt, die es als Schande empfunden hätten, sich als Hausfrau statt erwerbslos zu bezeichnen
(Klink, 1993).
Die Entscheidung für eine längerfristige Hausfrauenrolle wird heute wegen der Zerbrechlichkeit der Beziehungen und der
geringen Reputation in der Gesellschaft von den Frauen kaum mehr getroffen. Wäre der Konkurrenzkampf im Beruf nicht so hart und der Status Hausfrau
nicht so geringgeschätzt, blieben wahrscheinlich mehr Mütter längere Zeit bei ihren Kindern.
Der Beruf ist für die Frau wohl auch deshalb so wichtig, da sie einen Teil ihres Selbstwertes über ihre Erwerbstätigkeit
definiert. Wenn nun die Frau zum Beispiel entlassen wird, bedeutet dies also gleichzeitig, dass ihr Selbstwert vermindert wird. Somit ist der Verlust der
Erwerbstätigkeit allein aus psychologischer Sicht nur schwer zu verkraften.
Wie die Frau mit ihrer Erwerbslosigkeit umgeht, hängt mit Sicherheit auch von der Art ihrer Attribution ab. So wird die Frau die Situation wohl schlechter
bewältigen, wenn sie intern attribuiert also die Ursache ihrer Erwerbslosigkeit auf mangelnde Fähigkeiten und auf sonstige Eigenschaften
ihrer eigenen Person zurückführt; dies wirkt sich wiederum negativ auf ihren Selbstwert aus. Auf der anderen Seite kann auch mangelnder Selbstwert
der Grund dafür sein, dass die Frau dazu neigt, den Verlust ihrer Erwerbstätigkeit auf interne Ursachen zurückzuführen. Diese Aspekte
spiegeln sich ebenfalls in ihren Bemühungen bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz wieder: So können "... internale Attribuierungen,
bei der die Hilfsbedürftigkeit durch eigene Inkompetenz, Unfähigkeit oder mangelndes Bemühen verschuldet erscheint, oftmals den Verlust
des Selbstwertgefühls nach sich ziehen und infolgedessen Hilfesuchverhalten entscheidend beeinträchtigen ..." (Klink, 1993, S. 214).
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Literatur
Jahoda, M., Lazarsfeld, P. F. & Zeisel, H. (1975). Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch. Allensbach, Bonn: Suhrkamp Verlag.
(Originalarbeit erschienen 1933)
Klink, F. (1993). Hilfesuchverhalten erwerbsloser Frauen. In G. Mohr (Hrsg.), Ausgezählt. Theoretische und empirische Beiträge zur Psychologie
der Frauenerwerbslosigkeit. Weinheim: Deutscher Studien Verlag.
Mohr, G. (Hrsg.). (1993a). Ausgezählt. Theoretische und empirische Beiträge zur Psychologie der Frauenerwerbslosigkeit. Weinheim:
Deutscher Studien Verlag.
Mohr, G. (1993b). Frauenerwerbslosigkeit: Spekulationen und Befunde. In G. Mohr (Hrsg.), Ausgezählt. Theoretische und empirische
Beiträge zur Psychologie der Frauenerwerbslosigkeit. Weinheim: Deutscher Studien Verlag.
Mohr, G. (1993c). Industriearbeiterinnen sieben Jahre später: Arbeitssuchende Frauen im Vergleich mit wieder erwerbstätigen Frauen und
Hausfrauen. In G. Mohr (Hrsg.), Ausgezählt. Theoretische und empirische Beiträge zur Psychologie der Frauenerwerbslosigkeit.
Weinheim: Deutscher Studien Verlag.
Strehmel, P. (1993). Erwerbslosigkeit hochqualifizierter Frauen. Eine Längsschnittstudie mit Lehrerinnen nach dem Referendariat. In G. Mohr (Hrsg.),
Ausgezählt. Theoretische und empirische Beiträge zur Psychologie der Frauenerwerbslosigkeit. Weinheim: Deutscher Studien Verlag.
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