Revision einer Konservatismus-Skala

 

Dorothea König   Kathrin Frank

Abschlussbericht im Rahmen der Lehrveranstaltung "Praktische Durchführung psychologischer Experimente"
(Univ.-Prof. Dr. Georg Gittler) am Institut für Psychologie der Universität Wien, SS 2000

 



 

Inhalt:
  
1. Einleitung
  1.1 Einstellungsmessung
  1.2 Der neue Ansatz von Wilson und Patterson
  1.3 Neukonstruktion von Schneider und Minkmar
  1.4 Weitere Revisionen der Wilson-Patterson-Konservatismus-Skala
  1.5 Verschiedene Untersuchungsbereiche in Zusammenhang mit Konservatismus


2. Konstruktion der Konservatismus-Skala


3. Stichprobenbeschreibung


4. Erprobung der Konservatismus-Skala
  4.1 Faktorenanalysen
  4.2 Vier-Faktoren-Struktur


5. Ergebnisse
  5.1 Mittelwertsvergleiche
  5.2 Korrelationen


6. Diskussion


7. Zusammenfassung


8. Literatur

 

 

1. Einleitung

Die Erforschung der Dimension "Konservatismus" erlangt bereits in der frühen sozialpsychologischen Einstellungsmessung große Beachtung. Im allgemeinen besteht keine Einigkeit darüber, ob "Konservatismus" durch einen Generalfaktor beschrieben werden kann, oder ob es sich bei diesem Einstellungskomplex um eine Gruppe relativ unabhängiger Faktoren handelt (vgl. Schneider & Minkmar, 1972). So findet man in der Literatur unterschiedliche Ansichten darüber, was denn Konservatismus eigentlich ausmache.
Eine weit auslegbare Definition gibt etwa Süllwold (1968), wenn er meint, der extrem liberal Eingestellte ist allem Neuen und allen Neuerungen gegenüber aufgeschlossen, während der extrem Konservative Veränderungen grundsätzlich skeptisch gegenübersteht oder diese von vornherein ablehnt.
Schneider und Minkmar (1972) betrachten diese Haltung konkreter: Konservative Einstellung kann als "... Neigung, Veränderungen sozialer, ökonomischer, politischer und religiöser Traditionen sowie ästhetischen Geschmacks positiv bzw. negativ zu bewerten" (S. 37) verstanden werden.

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1.1 Einstellungsmessung

Nach dem 1904 von Spearman entwickelten Generalfaktormodell, welches besagt, dass die Leistung in Tests durch einen Faktor bestimmt sei, konzipiert Thurstone 1931 das Multiple Faktorenmodell. Bei diesem Ansatz wird davon ausgegangen, dass eine Leistung wie etwa Intelligenz durch mehrere gemeinsame Faktoren bestimmt sei. Thurstone möchte durch sein Faktorenmodell eine Methode schaffen, mit deren Hilfe komplexe soziale und psychologische Phänomene auf eine geringe Anzahl von Dimensionen zurückgeführt werden können. Dies sollte nicht nur für die Entwicklung einer Theorie über geistige Fähigkeiten oder Persönlichkeitsmerkmale nützlich sein, sondern auch der praxisorientierten Psychologie entgegenkommen (vgl. Thurstone, 1934).
Durch die Entwicklung faktorenanalytischer Untersuchungsmöglichkeiten kann also auch der nahezu unüberschaubare Komplex "Konservatismus" zu einer verhältnismäßig kleinen Anzahl von Einstellungsdimensionen isoliert werden.
Neben Thurstone (1934) beschäftigen sich beispielsweise auch Ferguson (1939), Lorr (1951) und Eysenck (1975) mit Sozialeinstellungen. Dabei wird dem Bereich "radicalism-conservatism" bzw. "liberalism-conservatism" besonderes Interesse zuteil. Diese Dimension wird wohl erstmals von Thurstone im Jahre 1934 gefunden und diskutiert.

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1.2 Der neue Ansatz von Wilson und Patterson

Wilson und Patterson (1968) kritisieren herkömmliche Messinstrumente im Bereich der Einstellungsforschung: Items, die in Satzform vorgegeben werden, sind oft zu lang und uneindeutig formuliert. Verständnisschwierigkeiten grammatikalischer Art treten auf, zumal auch die Beantwortung der Items häufig mehrfach verneinendes Denken erfordert. Weiters sind Antworten nach sozialer Erwünschtheit nur sehr schwer auszuschließen. Die Antworten einer Testperson auf derartige Statements in Satzform werden stark durch kognitive Prozesse beeinflusst. Sie sind nicht Produkt affektiver Reaktionen auf bestimmte Inhalte. So kann das eigentliche Ziel der Einstellungsmessung nicht erreicht werden.
Um all diesen Defiziten entgegenzuwirken, entwickeln Wilson und Patterson 1968 einen neuen und äußerst forschungsökonomischen Ansatz. Sie erstellen eine 50 Items umfassende Skala für den englischsprachigen Raum. Außergewöhnlich an dieser Skala ist die Itemform: Anstatt ausformulierten Statements werden Schlagworte dargeboten, welche vertraute und kontroverse Themen charakterisieren. Durch die Vorgabe von Schlagworten sollte erreicht werden, dass die Bewertung der Items nicht schon im Reizmaterial vorhanden ist, sondern erst bei der unmittelbaren Reaktion des Probanden auftritt. Weiters können dadurch Einfluss kognitiver Prozesse, Aufgabenkonflikt, grammatikalische Unsicherheiten und sozial erwünschtes Antwortverhalten reduziert werden.
Die 50 Items der Konservatismus-Skala sollen in den Kategorien ja / ? / nein je nach Zustimmung oder Ablehnung beantwortet werden. Die Skala besteht zu gleichen Teilen aus liberalen (z.B. "Pyjamaparties") und konservativen (z.B. "Volkstum") Schlagworten; durch deren zufällige Anordnung kann die Ja-Sage-Tendenz verringert werden. Die Items stammen aus unterschiedlichen Bereichen, welche Wilson (1973) für extremen Konservatismus charakteristisch erachtet (vgl. Schneider & Uhl, 1978):

  • Religiöser Dogmatismus
  • Rechtsgerichtete politische Orientierung
  • Betonung strenger Regeln und Bestrafungen
  • Militarismus
  • Ethnozentrismus und Intoleranz gegenüber Minderheiten
  • Bevorzugung konventioneller Kunst, Kleidung und Institutionen
  • Anti-hedonistische Ansichten und Einschränkung im sexuellen Verhalten
  • Widerstand gegenüber wissenschaftlichem Fortschritt

Ziel der Skala ist es, ein globales Maß an Konservatismus zu bestimmen, wichtige Bereiche konservativer Einstellung differenziert zu erfassen sowie nach Interkorrelieren der Items und erfolgter Faktorenanalyse einen generellen Konservatismus-Faktor zu erhalten.
Wilson führte eine Reihe von Untersuchungen durch, welche der Skala zufriedenstellende Reliabilität, faktorielle Validität und Kriteriums-Validität bescheinigen (Wilson, 1973; Wilson & Patterson, 1968).

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1.3 Neukonstruktion von Schneider und Minkmar

Schneider und Minkmar übertragen 1972 die Konservatismus-Skala von Wilson und Patterson (1968) nach Kriterien der Zeitgemäßheit, Allgemeinverständlichkeit und Kulturspezifität ins Deutsche.
Eine 91 Items umfassende Skala wird 272 Studenten zur Beantwortung in den Kategorien ja / ? / nein vorgelegt. Nur 22 Schlagworte der aus 50 Items bestehenden Liste von Wilson und Patterson (1968) genügen den Anforderungen der interkulturellen Übertragbarkeit. Die endgültige Skala von Schneider und Minkmar enthält 40 Items, die für eine Studentenform geeignet sind.
Bei der unrotierten Hauptachsenlösung erkennt man im ersten Faktor den "general factor of conservatism", welchen Wilson bereits 1970 findet. Nach Rotation erhält man jedoch eine Vier-Faktoren-Lösung: Der erste Faktor wird durch Betonung von Zucht und Ordnung sowie nationalistischer Werte definiert. Negative und repressive Haltung gegenüber Minderheiten kennzeichnet den zweiten Faktor. Diese beiden Faktoren – so vermuten Schneider und Minkmar – sind Komponenten des "autoritären Persönlichkeitssyndroms". Zum dritten Faktor zählen Items, die christlichen Glauben und christliche Wertvorstellungen zum Inhalt haben. Der vierte Faktor schließlich beschreibt Freizügigkeit im sexuellen Bereich.

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1.4 Weitere Revisionen der Wilson-Patterson-Konservatismus-Skala

Siddiqi, Jansen und Haara (1971) untersuchen 14- und 15jährige Schüler sowie Studenten zwischen 19 und 25 Jahren beiderlei Geschlechts mittels der ins Deutsche übersetzten Konservatismus-Skala von Wilson und Patterson. Ihren Erwartungen entsprechend weisen Schüler einen weit höheren Konservatismus-Score auf als Studenten. Es ist jedoch fraglich, ob der Gesamtscore der beiden Stichproben direkt miteinander verglichen werden darf. Die Differenzen zwischen Schülern und Studenten bei den einzelnen Items weisen darauf hin, dass die Skala von Wilson und Patterson nicht eindimensional ist; zwischen den Stichproben bestehen faktorielle Unterschiede. Möglicherweise werden einzelne Items von Schülern und Studenten anders gedeutet. Laut Siddiqi et al. (1971) wäre es also bedenklich, Ergebnisse dieser Skala bei verschiedenen Gruppen gleichwertig zu interpretieren.

Auch Schiebel, Riemann und Mummendey befassen sich 1984 mit einer Neukonstruktion der Wilson-Patterson-Konservatismus-Skala. Sie streben "... die Erstellung einer Form, die sich zur Erfassung allgemeiner konservativer Einstellungen eignet und gleichzeitig eine Differenzierung dieses Einstellungskomplexes gestattet" (S. 312) an.
Eine aus 30 Schlagworten zusammengestellte Liste wird Studierenden und Auszubildenden vorgelegt, die ihre Bejahung in Zehner-Prozent-Schritten angeben sollen. Anschließende Item- und Faktorenanalysen weisen auf eine Methoden-Stichproben-Interaktion hin.
Um für Studenten konservative Einstellungen differenzierter erfassen zu können, konstruieren Schiebel et al. auch eine 42-Item-Skala. Sie misst vier homogene Bereiche konservativer Einstellungen: (1) Bevorzugung autoritärer Erziehung und politischer Konservatismus, (2) Ablehnung der Emanzipation von Frauen, (3) Ablehnung von Ausländern, (4) Ablehnung sexueller Freizügigkeit.

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1.5 Verschiedene Untersuchungsbereiche in Zusammenhang mit Konservatismus

Eine Reihe von Studien macht deutlich, dass Konservatismus eine beachtliche Rolle im Verhalten des Menschen einnimmt.

Boshier berichtet 1969 von einer Studie, in der den Probanden sowohl ein Selbstachtungs- als auch ein Konservatismus-Fragebogen vorgelegt werden. Es wird eine Korrelation zwischen Konservatismus und Selbstkonzept von -0.506 gefunden. Die negative Korrelation lässt den Schluss zu, dass hoher Konservatismus mit geringer Selbstachtung einhergeht. Carl Rogers deutet dies folgendermaßen: Wenn sich jemand selbst akzeptiert, zeigt dieser auch mehr Akzeptanz anderen Menschen gegenüber; so bringt der Konservative Feindseligkeit anderen und zugleich wenig Akzeptanz sich selbst entgegen.

Patterson und Wilson befassen sich 1969 mit Anonymität in Zusammenhang mit Konservatismus. Sie geben den Probanden die Konservatismus-Skala (Wilson & Patterson, 1968) vor; zusätzlich fragen sie nach dem Alter, Geschlecht und Beruf. Um ein Maß für "Anonymität" zu erhalten, lassen sie die Probanden wählen, ihren vollständigen Namen, nur ihre Initialen oder keine Identifikation anzugeben. Mittelwertsvergleiche hinsichtlich dieser drei Stufen der Anonymität ergeben hoch signifikante Unterschiede: "Anonyme" sind konservativer als "Namensträger"; Probanden, die ihre Initialen angaben, befinden sich im mittleren Bereich.

Süllwold (1968) berichtet über Untersuchungen im Bereich Intelligenz und Konservatismus, die zeigen, dass intelligentere Probanden liberaler eingestellt sind, während weniger intelligente Menschen zu stärkerem Konservatismus tendieren. Die höchste in der Literatur erwähnte Korrelation beträgt jedoch nur 0.45. So lässt sich nicht eindeutig konstatieren, dass konservative Einstellung in Zusammenhang mit Intelligenz steht.

Weitere Untersuchungsbereiche bezüglich Konservatismus betreffen unter anderem politische Einstellungen (Kerr, 1944), Witzbeurteilung (Ruch, 1984; Wilson, 1973), ästhetische Präferenzen und ästhetische Sensibilität (Schmidt & Fahrenberg, 1985) sowie die Dimension "Hoffnungslosigkeit" (Cheung & Kwok, 1996).

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2. Konstruktion der Konservatismus-Skala

Ausgangspunkt für die Neukonstruktion der Konservatismus-Skala war die 40 Items umfassende Liste von Schneider und Minkmar (1972). Weitere Ideen lieferten die 30-Item-Skala und 42-Item-Skala von Schiebel et al. (1984). Um sicherzugehen, dass der Fragebogen an die heutige Zeit angepasst ist, wurden lediglich acht Begriffe aus diesen Listen übernommen und 52 aktuelle Schlagworte hinzugefügt. Die so entstandene Konservatismus-Skala umfasst also 60 Items.
Die ursprüngliche Liste enthielt 70 Schlagworte. Es bot sich die Gelegenheit, etwa 25 Psychologiestudenten beurteilen zu lassen, ob diese Begriffe für die Messung konservativer Einstellungen geeignet waren. 10 Items, welche die Studenten am häufigsten als ungeeignet erachtet hatten, wurden ausgeschieden.
Um möglichen Antwort-Tendenzen der Testpersonen entgegenzuwirken, wurden verschieden gepolte Items herangezogen: 18 Begriffe sprechen bei Befürwortung für Konservatismus, 42 für Liberalismus bzw. Progressivität. Diese konservativen und liberalen Schlagworte wurden den Testpersonen im Fragebogen in zufälliger Reihenfolge vorgegeben.
Die 60 Items wurden aus sechs Bereichen ausgewählt, von welchen angenommen werden kann, dass sie dem Merkmal "Konservatismus" zugrundeliegen bzw. für konservative Einstellungen charakteristisch sind:

  1. Ablehnung von Ausländern und Minderheiten
  2. Ablehnung der Emanzipation der Frau
  3. Bevorzugung strenger Erziehung und Ablehnung freizügiger Lebenshaltung
  4. Ablehnung sexueller Freizügigkeit und Festhalten an religiösen Geboten
  5. Verschlossenheit gegenüber Neuem und gegenüber der Wissenschaft
  6. Befürwortung strenger Justiz und wenig liberaler Politik

Die Liste der 60 Schlagworte mit Angaben über Quelle, Polung und Zuordnung zu den sechs Bereichen ist in Tabelle 1 wiedergegeben.

Tabelle 1. Liste der Schlagworte mit Angaben über Quelle, Polung und Bereich.

Item Quelle Polung Bereich
 1. Abstrakte Malerei
 2. Spenden für Afrika
 3. Strenge Lehrer
 4. Berufstätige Mütter
 5. Sexszenen in Fernsehfilmen
 6. Allgemeine Wehrpflicht
 7. Verwendung englischer Begriffe in der deutschen Sprache
 8. Lebenskünstler
 9. Gastarbeiter
10. Feiertagsheiligung
11. Männer in Karenz
12. Europäische Union (EU)
13. Die "gesunde" Watsche
14. Extremsportarten
15. Ausländervolksbegehren
16. Außereheliche Partnerschaft
17. Wohngemeinschaften
18. Unterordnung der Frau
19. Bewährungshilfe
20. Gentechnik
21. Austritt aus der Kirche
22. Ausschluss Behinderter von Bildungswegen
23. Clubbings
24. Frauen in Führungspositionen
25. Todesstrafe
26. Eheschließung zwischen Homosexuellen
27. Aufklärung durch die Eltern
28. Demonstrationsfreiheit
29. Mann als Oberhaupt der Familie
30. Tätowierungen
31. Moderne Dichtung
32. Verringerung des Ausländeranteils
33. Sexuelle Freizügigkeit
34. Außergerichtlicher Tatausgleich
35. Ausgeflippte Kleidung
36. Niedrigerer Lohn für Frauen
37. Abtreibung
38. Streiks
39. Aufarbeitung des Holocaust
40. Studentenverbindungen
41. Computerunterstützter Unterricht
42. Jungfräulichkeit bis zur Ehe
43. Männer im Haushalt
44. AIDS-Kranker als Arbeitskollege
45. Autoritäre Erziehung
46. Graffiti als Kunst
47. Frauen als Freiwillige beim Heer
48. Unehelich Geborene
49. Kastration von Sexualverbrechern
50. Singledasein
51. Adoption von Kindern durch Homosexuelle
52. Bevorzugung von Männern auf dem Arbeitsmarkt
53. Meinungs- und Pressefreiheit
54. Handkuss
55. Geöffnete Geschäfte am Sonntag
56. Piercing
57. Alleinerziehende Mütter
58. Harte Strafmaßnahmen bei jugendlichen Tätern
59. Ehescheidung
60. In Österreich lebende Schwarze
 
 
S & M
 
 
 
 
 
S & M
 
 
 
 
 
 
 
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L
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L
L
K
L
L
5
1
3
2
4
6
5
3
1
4
2
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3
4
5
2
6
4
1

Quelle:   S & M = übernommen von Schneider und Minkmar (1972)
S, R & M = übernommen von Schiebel, Riemann und Mummendey (1984)
Polung:   L = liberal
K = konservativ
Bereich:   Bezeichnung der sechs Bereiche siehe weiter oben

Bei Schneider und Minkmar konnten die Probanden zwischen drei Antwortkategorien wählen: ja / ? / nein. Gegen diesen Antwortmodus spricht jedoch, dass er keine differenzierten Antworten zulässt. Konservatismus kann schließlich verschiedene Ausmaße annehmen. Ja bzw. nein anzukreuzen würde bedeuten, zu einem bestimmten Schlagwort entweder extrem konservativ oder absolut liberal eingestellt zu sein. Diesen Einwand sahen wir auch von Schiebel et al. (1984) bestätigt, wenn sie nämlich von einer Voruntersuchung berichten, in der die meisten Versuchspersonen äußerten, dass sie differenzierte Antwortmöglichkeiten bevorzugten. Aus diesem Grund wurden den Testpersonen vier Antwortkategorien vorgegeben; sie konnten also zwischen "sehr positive Einstellung", "eher positive Einstellung", "eher negative Einstellung" und "sehr negative Einstellung" wählen. Bei einer geraden Anzahl von Kategorien mussten sich die Probanden für eine bestimmte Antwortrichtung entscheiden; weiters konnte dadurch auch die Tendenz zur Mitte ausgeschlossen werden. Zusätzlich hatten die Testpersonen die Möglichkeit, auf die Kategorie "kenne Begriff nicht" auszuweichen. Dadurch sollten eventuell auftretende Frustration vermieden und eine bessere Aussagekraft der erhobenen Daten – aufgrund der Verminderung des zufälligen Ankreuzens, wenn etwa eine Testperson nicht wusste, was ein Begriff bedeutete – hergestellt werden.
Für Antworten in den vier Kategorien wurden jeweils Werte von 1 bis 4 vergeben, wobei die konservativen Schlagworte umgepolt bzw. recodiert wurden. Antworten in der Kategorie "kenne Begriff nicht" wurden als Missing Value gewertet. Zur Score-Bildung siehe Abschnitt 5. Ergebnisse.

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3. Stichprobenbeschreibung

An der Untersuchung nahmen insgesamt 240 Personen teil. 120 Testpersonen sind im Alter zwischen 18 und 25 Jahren. Diese Stichprobe wird die Gruppe der "jungen Personen" genannt. Sie setzt sich aus 60 Wienern und 60 Niederösterreichern zusammen. Die zweite Stichprobe besteht wiederum aus 120 Testpersonen, welche zwischen 40 und 80 Jahren alt sind. Der Einfachheit halber wird diese Gruppe im Gegensatz zu den "jungen Personen" als "älter" bezeichnet. Auch hier ist die Anzahl der Wiener und Niederösterreicher ausgeglichen. In die Untersuchung wurden nur jene Niederösterreicher aufgenommen, die in einer Marktgemeinde (überwiegend im Tullnerfeld) wohnen.

Für spätere Berechnungen wurden "Alter-Wohnort-Gruppen" gebildet, um überprüfen zu können, inwiefern sich junge Niederösterreicher, junge Wiener, ältere Niederösterreicher und ältere Wiener hinsichtlich des Merkmals "Konservatismus" voneinander unterscheiden.
Es wurde darauf geachtet, dass die Stichproben zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen zusammengesetzt sind. So beschreiben 30 junge Männer aus Wien und 30 junge niederösterreichische Männer die "jungen Männer", 30 junge Wienerinnen und 30 junge Niederösterreicherinnen die "jungen Frauen". 30 ältere Männer aus Wien und 30 ältere Männer aus Niederösterreich bilden die Gruppe der "ältere Männer", 30 ältere Wienerinnen und 30 ältere Niederösterreicherinnen die der "älteren Frauen". Diese verschiedenen Gruppen werden insgesamt als "Alter-Geschlecht-Gruppen" bezeichnet.

Bei den im Konservatismus-Fragebogen abgefragten Sozialdaten waren für die Stichprobenzusammenstellung neben dem Alter in Jahren auch der Wohnort (Wien, Niederösterreich) sowie das Geschlecht von Bedeutung.
Es scheint plausibel zu sein, dass mit der Gegebenheit, Kinder zu haben, eine Veränderung beispielsweise bezüglich des Verantwortungsgefühls einsetzt, welche mit einer mit Konservatismus in Zusammenhang stehenden Einstellungsänderung einhergehen könnte. Aus diesem Grund sollten die Testpersonen angeben, ob sie "eigene Kinder" (ja/nein) haben. Bei der Stichprobe der "jungen Personen" wurden jedoch nur zwei Mütter und ein Vater gezählt. Somit war ein Vergleich der konservativen Einstellungen in den beiden Altersgruppen bezüglich "eigene Kinder" nicht sinnvoll.
Die "Höchste abgeschlossene Ausbildung" wurde in sechs Kategorien (Pflichtschule, Handelsschule, Lehre, Matura, Diplomlehrgang, Universität) erhoben, auch wenn diese nicht speziell in Berechnungen miteinbezogen werden sollte. Es wurde jedoch darauf geachtet, dass alle Ausbildungsstufen vertreten sind.
Weiters war von Interesse, ob sich innerhalb der niederösterreichischen Bevölkerung Personen mit Arbeitsplatz in Niederösterreich von jenen, die in Wien beschäftigt sind, hinsichtlich des Merkmals "Konservatismus" unterscheiden. Um dies überprüfen zu können, wurde die "Berufssituation" (nicht erwerbstätig, derzeitige Ausbildung in Wien, derzeitige Ausbildung in NÖ, derzeitiger Arbeitsplatz in Wien, derzeitiger Arbeitsplatz in NÖ) ermittelt.
Die Testpersonen sollten auch den "Familienstand" (ledig, verheiratet, geschieden, verwitwet) angeben. 118 junge Personen sind ledig und nur 2 verheiratet. So war hier – wie auch schon bei dem Aspekt der eigenen Kinder – ein Vergleich mit den "älteren Personen" nicht sinnvoll.
Schließlich wurde noch der "Glaube an Gott" erhoben, da es möglich wäre, dass konservative Einstellungen durch Religiosität beeinflusst werden. Für diesbezügliche Mittelwertsvergleiche wurden anhand der vier vorgegebenen Kategorien zwei Gruppen gebildet: Personen, die angegeben hatten, "sehr gläubig" oder "eher schon gläubig" zu sein, wurden zur "gläubigen" Gruppe zusammengefasst; jene, welche "eher nicht gläubig" oder "absolut nicht gläubig" angekreuzt hatten, wurden unter den Oberbegriff "nicht gläubig" gestellt.

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4. Erprobung der Konservatismus-Skala

 

4.1 Faktorenanalysen

Zur Überprüfung der Struktur der Konservatismus-Skala in der Gesamtstichprobe wurden Faktorenanalysen berechnet. Zunächst wurden Faktorenanalysen für sechs und für fünf zu extrahierende Faktoren durchgeführt. Diese Faktoren-Lösungen schienen jedoch nicht geeignet, da die Faktoren nicht viel an Varianz erklärten und sich nur aus wenigen Items zusammensetzten. Nach Varimax-Rotation waren den jeweils letzten Faktoren lediglich drei Items mit Ladungen größer 0.4 zuzuordnen. Aus diesem Grund wurde die vierfaktorielle Lösung zur Interpretation herangezogen. Anhand der Varimax-rotierten Komponentenmatrix wurde ersichtlich, aus welchen Items sich die vier Faktoren vorläufig zusammensetzten. 14 Items, die inhaltlich nicht zum jeweiligen Faktor passten, wurden ausgeschieden.
Mit der verringerten Itemanzahl wurde nochmals eine Faktorenanalyse berechnet. Dabei änderte sich die inhaltliche Zusammensetzung der Faktoren nicht. 5 Items wiesen jedoch eine Ladung unter 0.4 auf und wurden daher ausgeschieden.
Mit der wiederum verringerten Itemanzahl wurde erneut eine Faktorenanalyse durchgeführt. Die Hauptkomponentenanalyse ergab zehn Faktoren mit Eigenwerten größer eins. Die vier Faktoren erklären zusammen 46.8 % der Gesamtvarianz, wobei der erste Faktor bereits mehr als die Hälfte der Gesamtvarianz (26.5 %) erfasst. Bei der auf vier Faktoren begrenzten Lösung gehen auf den ersten Faktor 56.6 % der erklärten Varianz zurück, nach Varimax-Rotation nur noch 32.3 %.
Der Eigenwertverlauf und die erklärte Gesamtvarianz der Vier-Faktoren-Lösung vor und nach Varimax-Rotation sind in Tabelle 2 angeführt.

Tabelle 2. Eigenwertverlauf und erklärte Gesamtvarianz.

 unrotiert
  Eigenwert % der Varianz Kumulierte %
 Faktor I
 Faktor II
 Faktor III
 Faktor IV
10.845
3.782
2.616
1.931
26.452
9.224
6.381
4.710
26.452
35.676
42.058
46.768
 rotiert
  Eigenwert % der Varianz Kumulierte %
 Faktor I
 Faktor II
 Faktor III
 Faktor IV
6.196
5.728
3.937
3.313
15.111
13.971
9.604
8.081
15.111
29.082
38.686
46.768

Die endgültige Fassung des Konservatismus-Fragebogens enthält 41 Items: 27 liberale und 14 konservative Schlagworte. 19 Items der ursprünglichen Skala waren also für die Messung von Konservatismus in der untersuchten Stichprobe nicht geeignet.

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4.2 Vier-Faktoren-Struktur

In der untersuchten Stichprobe liegen konservativen Einstellungen vier Faktoren zugrunde. Im ersten Faktor weist das Schlagwort "Die 'gesunde' Watsche" die höchste Ladung auf. Auch die Begriffe "Todesstrafe" und "Bewährungshilfe" zählen beispielsweise zu diesem Faktor. So kann der erste Faktor als "Befürwortung strenger Erziehung, harter Justiz und wenig liberaler Politik" interpretiert werden.
Das Item "Piercing" lädt im zweiten Faktor am höchsten, gefolgt von "Tätowierungen", "Extremsportarten" und "Sexuelle Freizügigkeit". Dieser Faktor wird als "Ablehnung moderner Lebenshaltung und sexueller Freizügigkeit" bezeichnet.
Der dritte Faktor kann als "Ablehnung der Emanzipation der Frau" gedeutet werden, da dieser in sich Schlagworte wie etwa "Unterordnung der Frau" oder "Frauen in Führungspositionen" vereinigt.
Im vierten Faktor laden die Begriffe "Ehescheidung" und "Alleinerziehende Mütter" am höchsten. Dieser Faktor wird "Bevorzugung traditionell geregelter Familienverhältnisse" genannt.
Die rotierte Komponentenmatrix ist in Tabelle 3 wiedergegeben.

Tabelle 3. Rotierte Komponentenmatrix.

Items    Faktor I Faktor II Faktor III Faktor IV
Die "gesunde" Watsche   
Autoritäre Erziehung   
Demonstrationsfreiheit   
Aufarbeitung des Holocaust   
Todesstrafe   
Harte Strafmaßnahmen bei jugendlichen Tätern   
Kastration von Sexualverbrechern   
Europäische Union (EU)   
Gastarbeiter   
Verringerung des Ausländeranteils   
Strenge Lehrer   
Bewährungshilfe   
Allgemeine Wehrpflicht   
Außergerichtlicher Tatausgleich   
Piercing   
Tätowierungen   
Extremsportarten   
Sexuelle Freizügigkeit   
Sexszenen in Fernsehfilmen   
Graffiti als Kunst   
Ausgeflippte Kleidung   
Clubbings   
Eheschließung zwischen Homosexuellen   
Wohngemeinschaften   
Austritt aus der Kirche   
Jungfräulichkeit bis zur Ehe   
Geöffnete Geschäfte am Sonntag   
Unterordnung der Frau   
Frauen in Führungspositionen   
Bevorzugung von Männern auf dem Arbeitsmarkt   
Niedrigerer Lohn für Frauen   
Männer im Haushalt   
Mann als Oberhaupt der Familie   
Ehescheidung   
Alleinerziehende Mütter   
Singledasein   
Abtreibung   
Außereheliche Partnerschaft   
Adoption von Kindern durch Homosexuelle   
Berufstätige Mütter   
Feiertagsheiligung   
-0.689
-0.674
 0.661
 0.654
-0.636
-0.621
-0.613
 0.593
 0.590
-0.570
-0.562
 0.505
-0.483
 0.461













 0.828
 0.783
 0.695
 0.656
 0.641
 0.633
 0.567
 0.551
 0.538
 0.535
 0.470
-0.453
 0.411







































-0.769
 0.726
-0.696
-0.683
 0.619
-0.592








































 0.706
 0.556
 0.528
 0.500
 0.456
 0.449
 0.440
-0.428

Faktor I   "Befürwortung strenger Erziehung, harter Justiz und wenig liberaler Politik"
Faktor II   "Ablehnung moderner Lebenshaltung und sexueller Freizügigkeit"
Faktor III   "Ablehnung der Emanzipation der Frau"
Faktor IV   "Bevorzugung traditionell geregelter Familienverhältnisse"

Die vier Faktoren setzen sich inhaltlich etwas anders zusammen als die sechs Bereiche, von denen ausgegangen wurde. Es konnte kein eigener Faktor für den Bereich "Ablehnung von Ausländern und Minderheiten" gefunden werden. Die anfangs zu dieser Dimension zugeordneten Schlagworte wie etwa "Gastarbeiter" und "Verringerung des Ausländeranteils" werden nun zur Politik gezählt. Der Begriff "Eheschließung zwischen Homosexuellen" gehört zu Faktor II und "Adoption von Kindern durch Homosexuelle" zu Faktor IV.
Der homogenste Bereich ist "Ablehnung der Emanzipation der Frau". Die beiden Begriffe "Männer in Karenz" und "Frauen als Freiwillige beim Heer" mussten ausgeschieden werden. Die Schlagworte "Alleinerziehende Mütter" und "Berufstätige Mütter" zählen nun zu den Familienverhältnissen. Alle anderen zum Thema der Emanzipation der Frau zugeordneten Items findet man in Faktor III wieder.
Die weiteren zu Beginn postulierten Bereiche wurden – bis auf den Aspekt der Wissenschaft – bestätigt; es änderte sich jedoch die Zusammenstellung dieser verschiedenen Dimensionen. "Verschlossenheit gegenüber Neuem" konnte gräßtenteils auf "Ablehnung moderner Lebenshaltung" übertragen werden. In den vierten extrahierten Faktor "Bevorzugung traditionell geregelter Familienverhältnisse" fließt auch die Religiosität mit ein. So wurde das Schlagwort "Feiertagsheiligung" nicht ausgeschieden, zumal an Feiertagen auch die Familie im Vordergrund steht.

Schneider und Minkmar kommen 1972 bei einer Studenten-Stichprobe ebenfalls auf vier Faktoren (siehe auch Abschnitt 1.3 Neukonstruktion von Schneider und Minkmar):

  1. Betonung von Zucht und Ordnung sowie nationalistischen Werten
  2. Negative und repressive Haltung gegenüber Minderheiten
  3. Christlicher Glaube und christliche Wertvorstellungen
  4. Freizügigkeit im sexuellen Bereich

Auch Schiebel et al. berichten 1984 von einer Vier-Faktoren-Struktur bei einer Studenten-Stichprobe (siehe auch Abschnitt 1.4 Weitere Revisionen der Wilson-Patterson-Konservatismus-Skala):

  1. Bevorzugung autoritärer Erziehung und politischer Konservatismus
  2. Ablehnung der Emanzipation von Frauen
  3. Ablehnung von Ausländern
  4. Ablehnung sexueller Freizügigkeit

Beide Male konnte also – im Unterschied zur aktuellen Untersuchung – ein eigener Faktor für den Bereich "Ausländer und Minderheiten" sowie für "Sexuelle Freizügigkeit" gefunden werden.

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5. Ergebnisse

Für die weiteren Berechnungen wurden für jede Testperson vier Scores bestimmt (ein Score pro Faktor). Dabei wurden Mittelwerte über die Werte der zu einem Faktor gehörigen Items gebildet. Die Scores liegen demnach zwischen 1 für absolut liberal und 4 für extrem konservativ.

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5.1 Mittelwertsvergleiche

Alle berechneten Mittelwertsvergleiche gelten für unabhängige Stichproben. Verschiedene Fragestellungen wurden mittels t-Tests bzw. U-Tests (Mann-Whitney) sowie mittels einfachen Varianzanalysen bzw. Rangvarianzanalysen (Kruskal-Wallis) überprüft.

Für die Gegenüberstellung der "Alter-Wohnort-Gruppen" wurden aufgrund der nicht erfüllten Voraussetzungen Kruskal-Wallis-Tests durchgeführt. Im ersten Faktor unterscheiden sich junge Wiener mit p < 0.0001 bei α = 0.05 signifikant von allen anderen Gruppen (χ2 = 33.830, df = 3). Die mittleren Ränge lassen schließen, dass junge Wiener am liberalsten bezüglich Erziehung, Justiz und Politik eingestellt sind (mittlerer Rang = 76.43). Im Vergleich zu den jungen Wienern sind junge Niederösterreicher mit einem mittleren Rang von 129.93 konservativer, gefolgt von älteren Wienern (mittlerer Rang = 131.42) und älteren Niederösterreichern (mittlerer Rang = 144.23).
In Faktor II bilden junge Wiener und junge Niederösterreicher eine homogene Untergruppe. Diese ist mit p < 0.0001 bei α = 0.05 signifikant liberaler hinsichtlich moderner Lebenshaltung und sexueller Freizügigkeit als die zweite homogene Untergruppe der älteren Wiener und Niederösterreicher (χ2 = 126.545, df = 3).
Im dritten Faktor (Emanzipation der Frau) weisen junge Wiener mit p < 0.0001 bei α = 0.05 eine signifikant liberalere Einstellung als die Gruppe der älteren Wiener und Niederösterreicher auf (χ2 = 22.934, df = 3). Die jungen Niederösterreicher hingegen lassen sich nicht eindeutig einer der beiden homogenen Untergruppen zuordnen.
Während junge Wiener in Faktor IV (Familienverhältnisse) mit p < 0.0001 bei α = 0.05 signifikant liberaler als ältere Wiener und ältere Niederösterreicher sind, weisen junge Niederösterreicher nur im Vergleich zu älteren Niederösterreichern eine liberalere Einstellung auf (χ2 = 34.249, df = 3).

Weiters wurde überprüft, inwiefern sich die Altersgruppen generell unterscheiden. Dazu wurden bei Faktor I und IV t-Tests (zweiseitige Fragestellung) durchgeführt. Aufgrund der nicht erfüllten Voraussetzungen wurden für Faktor II und III U-Tests berechnet. In allen Faktoren konnte erwartungsgemäß nachgewiesen werden, dass junge Personen – jeweils mit p < 0.0001 bei α = 0.05 – signifikant liberaler eingestellt sind als ältere Personen.

Beim Vergleich der Personen mit unterschiedlichem Wohnort wurden für Faktor I, III und IV U-Tests und für Faktor II ein t-Test durchgeführt. Auch hier konnte die Erwartung, Niederösterreicher seien konservativer als Wiener, außer bei Faktor III (p = 0.062, α = 0.05), welcher die Thematik "Emanzipation der Frau" beschreibt, bestätigt werden.

Die "Alter-Geschlecht-Gruppen" wurden auf Unterschiede hinsichtlich der konservativen Einstellung überprüft. Die einfache Varianzanalyse für Faktor I (F = 5.138, df1 = 3, df2 = 236) zeigte lediglich Unterschiede zwischen jungen und älteren Frauen, wobei junge Frauen mit p = 0.011 bei α = 0.05 signifikant liberaler als ältere Frauen sind.
Mittels Kruskal-Wallis-Test konnten in Faktor II zwei homogene Untergruppen gefunden werden: Junge Frauen und Männer weisen mit p < 0.0001 bei α = 0.05 eine signifikant liberalere Einstellung auf als ältere Männer und Frauen (χ2 = 120.953, df = 3).
Für den dritten Faktor wurde ebenfalls ein Kruskal-Wallis-Test berechnet. Hier unterscheiden sich junge Frauen mit p < 0.0001 bei α = 0.05 signifikant von allen anderen Gruppen (χ2 = 67.714, df = 3). Sie sind deutlich liberaler (mittlerer Rang = 62.21) als ältere Frauen (mittlerer Rang = 119.79). Etwas konservativer sind junge Männer (mittlerer Rang = 139.71), gefolgt von älteren Männern (mittlerer Rang = 160.29).
Aufgrund der erfüllten Voraussetzungen konnte für Faktor IV eine einfache Varianzanalyse durchgeführt werden. Während junge Männer mit p = 0.032 bei α = 0.05 signifikant liberaler als ältere Männer sind, weisen junge Frauen mit p < 0.0001 bei α = 0.05 eine signifikant liberalere Einstellung als ältere Frauen und Männer auf (F = 12.483, df 1 = 3, df2 = 236).

Um zu untersuchen, inwiefern generelle Geschlechterunterschiede bestehen, wurden für Faktor I, II und IV t-Tests (zweiseitige Fragestellung, df = 238) und für Faktor III ein U-Test berechnet. Außer beim dritten Faktor (Emanzipation der Frau), bei welchem Frauen erwartungsgemäß liberaler als Männer sind (p < 0.0001, α = 0.05), konnten keine signifikanten Geschlechterunterschiede festgestellt werden.

Innerhalb der niederösterreichischen Bevölkerung wurden Vergleiche bezüglich der Berufssituation angestellt. Von Interesse war lediglich, ob sich in Wien arbeitende Niederösterreicher von jenen unterscheiden, die ihren Arbeitsplatz in Niederösterreich haben. Es wurden jedoch bei Überprüfung mittels einfachen Varianzanalysen (Faktor I und IV) bzw. Kruskal-Wallis-Tests (Faktor II und III) keine signifikanten Unterschiede gefunden. Nur beim dritten Faktor (Emanzipation der Frau) ist ein Trend dahingehend zu bemerken, dass in Niederösterreich arbeitende Niederösterreicher etwas liberaler eingestellt sind (mittlerer Rang = 54.15) als in Wien beschäftigte Niederösterreicher (mittlerer Rang = 64.50).

Schließlich interessierten auch etwaige Unterschiede zwischen Gläubigen und Nicht-Gläubigen hinsichtlich ihrer konservativen Einstellungen. Aufgrund der nicht erfüllten Voraussetzungen – außer bei Faktor IV – wurden U-Tests berechnet. In Faktor I sind Gläubige (mittlerer Rang = 131.33) mit p = 0.003 bei α = 0.05 signifikant konservativer als Nicht-Gläubige (mittlerer Rang = 104.25). In Faktor II ist dieser Unterschied noch deutlicher: Gläubige weisen einen mittleren Rang von 145.49 auf; Nicht-Gläubige haben einen mittleren Rang von 83.01 und sind mit p < 0.0001 bei α = 0.05 signifikant liberaler eingestellt. In Faktor III (Emanzipation der Frau) ließen sich jedoch keine signifikanten Unterschiede nachweisen (p = 0.242, α = 0.05). Bei Faktor IV wurde ein t-Test (zweiseitige Fragestellung) durchgeführt. Hier sind Gläubige wiederum mit p < 0.0001 bei α = 0.05 signifikant konservativer eingestellt als Nicht-Gläubige (t = 5.399, df = 238).

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5.2 Korrelationen

Um die Zusammenhänge verschiedener Aspekte mit Konservatismus detailliert zu erfassen, wurden Korrelationen berechnet.

Das Alter in Jahren wurde mit den Konservatismus-Scores zu den jeweiligen Faktoren korreliert (Pearson). In allen Faktoren konnten signifikante positive Zusammenhänge festgestellt werden (α = 0.01). Mit dem Alter steigt also das Ausmaß an Konservatismus. Die höchste Korrelation (0.739) wurde bei Faktor II (moderne Lebenshaltung, sexuelle Freizügigkeit) gefunden.
Auch nach Herauspartialisieren der Variable "eigene Kinder" bleiben in Faktor I, II und IV signifikante positive Zusammenhänge zwischen Alter und Konservatismus bestehen – mit der höchsten Korrelation wiederum bei Faktor II (0.4777). Außer bei Faktor I sind signifikante positive Zusammenhänge zwischen Alter und Konservatismus zu beobachten, nachdem die Variable "Familienstand" herauspartialisiert wurde. Die höchste Korrelation wurde auch hier bei Faktor II mit 0.5598 festgestellt. Der mit dem Alter steigende Konservatismus ist also nicht ausschließlich auf Gegebenheiten wie etwa verheiratet sein und Kinder haben zurückzuführen.

Der Zusammenhang zwischen Geschlecht und mittlerem Konservatismus-Score wurde mittels punktbiserialer Korrelation bestimmt. Diese Korrelation von -0.117 ist mit p = 0.027 bei α = 0.05 signifikant. Die negative Korrelation lässt den Schluss zu, dass Männer konservativer als Frauen eingestellt sind. Dies widerspricht den Ergebnissen in der Literatur, in welcher berichtet wird, Frauen seien etwas konservativer als Männer (vgl. Wilson, 1973; Wilson & Patterson, 1968).

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6. Diskussion

In die endgültige Fassung der revidierten Konservatismus-Skala gehen 41 Items ein. Es scheint jedoch nicht sinnvoll, die 19 ausgeschiedenen Schlagworte gänzlich aus dem Fragebogen zu streichen, da die Analysen nur in Abhängigkeit von der untersuchten Stichprobe betrachtet werden können. Mittels der Konservatismus-Skala lassen sich in der Stichprobe vier homogene Bereiche konservativer Einstellungen erfassen.

Die Gesamtstichprobe ist allgemein als liberal bis mäßig konservativ einzustufen. Die gemittelten Konservatismus-Scores in den vier Faktoren reichen von 1.73 bis 2.35. Die Tendenz zum Liberalismus kann man auch erkennen, wenn man die über die Probanden gemittelte Anzahl der Extrem-Antworten betrachtet: Von den Testpersonen wurden viel häufiger extrem liberale als extrem konservative Antworten gewählt.
Verschiedene Mittelwertsvergleiche lassen den Schluss zu, dass junge Personen bzw. Wiener im allgemeinen liberaler eingestellt sind als ältere Personen bzw. Niederösterreicher. Als liberalste Gruppe konnten die "jungen Wiener" identifiziert werden. Dies könnte dadurch bedingt sein, dass relativ viele Studenten getestet wurden. Wilson (1970) berichtet von einem generellen "Liberalismussyndrom", welches bei Studenten beobachtet werden kann.
Obwohl sich in der Gesamtstichprobe keine extrem konservativen Personen befinden, können also dennoch signifikante Unterschiede nachgewiesen werden. So erhält man mittels der revidierten Konservatismus-Skala auch im liberalen bis mäßig konservativen Bereich differenzierte Ergebnisse.

Die Ergebnisse der Mittelwertsvergleiche für verschiedene Fragestellungen sind bei Faktor I, II und IV zumeist sehr ähnlich; nur bei Faktor III (Emanzipation der Frau) werden seltener signifikante Unterschiede zwischen den untersuchten Gruppen festgestellt. Dies verwundert jedoch nicht, wenn man sich die mittleren Konservatismus-Scores in den vier Faktoren vor Augen hält. Man kann deutlich erkennen, dass dieser beim dritten Faktor weitaus am niedrigsten ist. So stellt sich die Frage, ob in der heutigen Zeit die Thematik der Emanzipation der Frau überhaupt geeignet ist, konservative Einstellungen zu erfassen.

Bei der Messung konservativer Einstellungen sind im allgemeinen Kausalitäten der Interpretationen schwer festzumachen, da schließlich jeder ältere Mensch einmal jung war. Eine einmalige Testung der Probanden bietet als Querschnittstudie lediglich eine Momentaufnahme der subjektiven Einstellung. So wäre es sicherlich interessant und zugleich auch sinnvoll, Konservatismus im Rahmen einer Längsschnittstudie zu untersuchen.

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7. Zusammenfassung

Es wurde über eine Revision der für den deutschsprachigen Raum von Schneider und Minkmar (1972) konzipierten Konservatismus-Skala berichtet. An der Untersuchung nahmen 120 junge und 120 ältere Personen aus Wien und Niederösterreich teil. Die 60 Items der Skala wurden Faktorenanalysen unterzogen. Die endgültige Fassung enthält 41 Schlagworte. Für die Gesamtstichprobe wurden vier homogene Bereiche konservativer Einstellungen gefunden: (I) Befürwortung strenger Erziehung, harter Justiz und wenig liberaler Politik, (II) Ablehnung moderner Lebenshaltung und sexueller Freizügigkeit, (III) Ablehnung der Emanzipation der Frau, (IV) Bevorzugung traditionell geregelter Familienverhältnisse. Anschließende Mittelwertsvergleiche lassen den Schluss zu, dass junge Wiener am liberalsten im Gegensatz zu älteren Personen bzw. Niederösterreichern eingestellt sind, wobei auch diese Tendenz zum Liberalismus zeigen. So können mittels der revidierten Konservatismus-Skala im liberalen bis mäßig konservativen Bereich des Merkmals "Konservatismus" differenzierte Ergebnisse erwartet werden.

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8. Literatur

Bortz, J. (1999). Statistik für Sozialwissenschaftler (5., vollständig überarbeitete und aktualisierte Aufl.). Berlin: Springer-Verlag.

Boshier, R. (1969). A study of the relationship between self-concept and conservatism. Journal of Social Psychology, 77, 139–140.

Cheung, C.-K. & Kwok, S.-T. (1996). Conservative orientation as a determinant of hopelessness. Journal of Social Psychology, 136 (3), 333–347.

Eysenck, H. J. (1975). The Structure of Social Attitudes. British Journal of Social and Clinical Psychology, 14, 323–331.

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Patterson, J. R. & Wilson, G. D. (1969). Anonymity, occupation and conservatism. Journal of Social Psychology, 78, 263–266.

Ruch, W. (1984). Konservatismus und Witzbeurteilung: Konvergenz gegenstandsbereichsinterner und -übergreifender Variabilität? Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 5 (3), 221–245.

Schiebel, B., Riemann, R. & Mummendey, H. D. (1984). Eine aktualisierte deutschsprachige Form der Konservatismusskala von Wilson & Patterson. Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 5 (4), 311–321.

Schmidt, C. & Fahrenberg, J. (1985). Ästhetische Präferenzen und ästhetische Sensibilität – Operationalisierungsversuche und Zusammenhänge mit Konservatismus (Forschungsberichte des Psychologischen Instituts Nr. 18). Freiburg im Breisgau: Albert-Ludwigs-Universität.

Schneider, J. & Minkmar, H. (1972). Deutsche Neukonstruktion einer Konservatismusskala. Diagnostica, 18, 37–48.

Schneider, J. F. & Uhl, E. (1978). Kennwerte einer deutschen Version der Wilson-Patterson-Konservatismus-Skala für unterschiedliche Stichproben (Arbeiten der Fachrichtung Psychologie Nr. 56). Saarbrücken: Universität des Saarlandes.

Siddiqi, J. A., Jansen, R. & Haara, A. (1971). Konservatismus: Eindimensional oder mehrdimensional? Psychologische Beiträge, 13, 26–37.

Süllwold, F. (1968). Intelligenz und Einstellung. Psychologische Rundschau, 3, 165–177.

Thurstone, L. L. (1934). The Vectors of Mind. The Psychological Review, 41, 1–32.

Wilson, G. D. & Patterson, J. R. (1968). A New Measure of Conservatism. British Journal of Social and Clinical Psychology, 7, 264–269.

Wilson, G. D. (1970). Is there a general factor in social attitudes? Evidence from a factor analysis of the conservatism scale. British Journal of Social and Clinical Psychology, 9, 101–107.

Wilson, G. D. (1973). The Psychology of Conservatism. London: Academic Press.

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